1029 - Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) | FFH-Arten in RLP

Steckbrief zur Art 1029 der FFH-Richtlinie

Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera)

Gruppe:

Weichtiere

Merkmale:

Die Flussperlmuschel kann bis zu 16 cm lang werden und erreicht damit eine beachtliche Größe. Ihre länglich-nierenförmige Schale ist matt rostbraun bis pechschwarz gefärbt und dickwandig. Die Schale wirkt äußerlich korrodiert. Die Perlmuttschicht der Innenseite schimmert bläulich-weiß bis rosa.

Lebensraum:

Die Flussperlmuschel benötigt kalkarme, schnell fließende, sommerkühle, sauerstoffreiche Bäche und Flüsse mit einem gut durchlüfteten und stabil geschichteten Sohlsubstrat, vorzugsweise Feinkies und –schotter. Besiedelt werden Gewässer mit einer sehr guten Wasserqualität (Gewässergüte I bis maximal I-II).

Biologie und Ökologie:

Die erwachsenen Muscheln verankern sich mit ihrem Fuß, einem beweglichen zungenförmigen Muskel, im Gewässergrund. In sauberen Gewässern können Hunderte dieser Muscheln Muschelbänke bilden. Sie leben als Filtrierer, das heißt, Sauerstoff und feine organische Nahrungsteilchen werden mit Hilfe der Kiemen aus dem Wasser gefiltert. Stündlich filtert eine Flussperlmuschel bis zu 40 Liter Wasser, deshalb sprechen ihr manche Autoren eine wasserreinigende Wirkung zu.

Die Flussperlmuschel ist getrenntgeschlechtlich, isolierte Weibchen können aber auch zum Zwitter werden. Sie erreicht die Geschlechtsreife erst nach etwa 15-20 Jahren. Während der Fortpflanzungszeit zwischen April und Juni werden bei den weiblichen Tieren in die so genannten Marsupien (Bruttaschen an den Kiemen) befruchtungsfähige Eier eingelagert. Hier findet die Befruchtung durch die von männlichen Muscheln im Juni/Juli frei ins Wasser abgegebenen Spermien statt, die mit dem Atemwasser eingestrudelt werden.

Aus den befruchteten Eiern entwickeln sich die parasitischen Larven, die Glochidien. Die Anzahl dieser nur 0,05 mm großen Glochidien, die sich in einer weiblichen Muschel entwickeln, wird in der Literatur je nach Population und Anzahl der eingestrudelten Spermien mit 18 000 bis 252 000 angegeben. Ein Weibchen kann im Laufe ihres Lebens 200 Millionen Glochidien produzieren. An der Our beträgt die Anzahl im Durchschnitt rund 3000 Glochidien pro Weibchen und Jahr (Terren 2005). Sie werden vom Muttertier im August/September ins Wasser abgegeben. Um zu überleben, müssen sie sich innerhalb weniger Stunden in den Kiemen eines Wirtsfisches festklammern, was nur wenigen Glochidien gelingt. Als Wirtsfische der Flussperlmuschel kommen ausschließlich die Bachforelle und der Lachs in Frage. Ohne diese Fischarten sterben die Larven ab.

Die Glochidie wird vom Gewebe des Fisches als Fremdkörper empfunden und deshalb von neuem Gewebe umschlossen. In der so entstandenen Zyste erfolgt in einem Zeitraum bis zu 9 Monaten die Metamorphose zu einer kleinen Muschel. Danach platzt die Zyste auf und die kleine, nur etwa 0,4 mm große Muschel fällt vom Fisch ab und gräbt sich im offenporigen, schlammfreien Lückensystem des Sohlsubstrats 5 bis 50 cm tief ein. Dort verbringt sie 4 bis 5 Jahre, um dann als etwa 2-3 cm große Muschel an die Oberfläche der Gewässersohle zu wandern.

Flussperlmuscheln können in unseren Breiten bis zu 120 Jahre alt werden, in Nordeuropa auch über 200 Jahre. Die Vorkommen an der Our erreichen wegen der relativ hohen sommerlichen Gewässertemperaturen nur 55-65 Jahre.

Verbreitung in Rheinland-Pfalz:

Die Flussperlmuschel ist heute in Mitteleuropa an den meisten ehemaligen Standorten ausgestorben. Früher kam sie in vielen Mittelgebirgsbächen vor und trug durch Perlmuschelfischerei teilweise erheblich zum Einkommen bei oder wurde verfüttert.

Heute konzentrieren sich die Bemühungen zum Schutz der Art auf die Our und die Nister, da dort noch größere reproduktionsfähige Muschelbänke bestehen. Bis in die 90er Jahre hinein kamen überalterte Bestände der Flussperlmuschel noch im Alfbach- Bierbachsystem im Eifelkreis Bitburg-Prüm vor, jedoch gelang es nicht, diese Population zu revitalsieren. Erst vor einigen Jahren wurde die Flussperlmuschel auch in der Nister wieder entdeckt.

Vorkommen in FFH-Gebieten:

6003-301 - Ourtal

Gefährdungen:

Die rezenten Muschelbestände sind stark überaltert. Auch wenn eine ausreichende Produktion von Glochidien erfolgt und große Populationen der Wirtsfische vorhanden sind, ist die Sauerstoffversorgung der Jungmuscheln im Substrat der limitierende Faktor. Diese ist so schlecht, dass die Jungmuscheln sterben. Die unter anderem durch intensive landwirtschaftliche Nutzung in den Bachauen erhöhte Sedimentbelastung der Bäche führt zur Verstopfung des Zwischenraumsystems am Gewässergrund, wodurch die Sauerstoffsättigung im Lebensraum der Jungmuscheln und der Nahrungsstrom gedrosselt werden.

Pflanzenschutzmittel-, Schwermetall- und Nährstoffeinträge wirken sich ebenfalls negativ aus. Die Perlmuschel verträgt keine erhöhten Calcium- und Phosphatwerte. Nitratgehalte über 2 mg/l führen bereits zu einer Drosselung der Reproduktion, höhere Werte zum Absterben. Fichtenaufforstungen bis an den Gewässerrand versauern das Gewässer und gefährden die Populationen.

Die Flussperlmuschel reagiert empfindlich auf Temperaturschwankungen des Wassers. Alle Formen der Gewässererwärmung im Bereich von Muschelbänken durch mangelnde Beschattung, zum Beispiel durch Entfernung natürlicher Ufergehölze und auch ein Aufstau (Teiche, Kolke) wirken sich negativ auf den Bestand aus.

Veränderungen der Gewässerstruktur durch Uferverbau, Grundräumungen oder den Einbau von Wehren sind weitere Ursachen für den Rückgang der Art.

Zu niedrige Populationsgrößen der Wirtsfischart Bachforelle oder ein Fehlbesatz mit Fremdfischen wie Regenbogenforelle oder Bachsaibling verhindern die Einnistung der Glochidien und unterbrechen den Entwicklungszyklus.

Die Freizeitnutzung der Muschelgewässer ist in geringerem Maße ebenfalls an den Beeinträchtigungen der Vorkommen beteiligt.

Schutzmaßnahmen:

Bei allen Pflege-, Unterhaltungs-, Bau- und sonstigen Maßnahmen in und an Flussperlmuschelgewässern sollte die Sicherung der Muschelvorkommen Vorrang haben.

Eine Sicherung beziehungsweise Wiederherstellung der Gewässergüteklassen I oder maximal I-II ist Voraussetzung für ein dauerhaftes Überleben der Muschelbestände.

Zur Vermeidung von Nährstoff- und Sedimenteinträgen sind breite, extensiv genutzte Uferrandstreifen sowohl an den Flussperlmuschelbächen als auch den Gewässern in ihrem Einzugsgebiet ein wesentlicher Sicherungsfaktor. Eine ackerbauliche Nutzung an diesen Gewässern ist zu vermeiden. Günstig ist ein Uferbewuchs mit Erlen, um die Seitenerosion der Fließgewässer zu reduzieren.

Zum Erhalt der Muschelbänke ist außerdem die Sicherstellung einer gleichmäßig kühlen Wassertemperatur durch den Erhalt naturnaher Wälder an den Fließstrecken mit Vorkommen der Perlmuschel und in deren Einzugsgebiet erforderlich.

Die künstliche Infektion von Wirtsfischen mit Glochidien und Aufzuchten können zur Stabilisierung von Populationen beitragen.

Seit 1989 werden an der Our unterschiedliche Untersuchungen und Maßnahmen zur Sicherung der dortigen Perlmuscheln durchgeführt, die auch der dort lebenden Bachmuschel (Unio crassus) zugute kommen (s. unter Links).

Unter dem Motto „Bedrohte Tierarten“ erschien bei der Deutschen Bundespost im Jahre 2002 eine Sondermarke mit einer Abbildung der Flussperlmuschel.

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Stand: 01.09.2014